Die Auferstehung einer Stadt
Fast jedes Mal wenn ich in meine zweite Heimat fahre, mache ich einen Stopp in Venzone. Mal auf ein Eis, auf einen Kaffee oder einfach so die Beine vertreten. Parken ist hier kein Problem, sind doch sowohl an der Bundesstraße SS13, als auch hinter der Stadt ausreichend Möglichkeiten dazu.
Venzone war durch seine Lage am Tagliamento in unmittelbarer Nähe zu den schroffen Felsen des Kanaltales ein idealer Standort für die Gründung einer Siedlung. Die Kelten waren die ersten, die sich nachweislich hier niederließen.
Dass auch die Römer später diese Handelsroute nutzten beweisen noch heute Hinweisschilder auf die „Via Julia Augusta“, die von Aquileia Richtung Österreich führte. Die Hunnen, die Langobarden und viele weitere Völker durchzogen dieses Gebiet, bevor es nach wechselvoller Geschichte zu Italien kam.
In den Nachkriegsjahren begann mit dem aufkeimenden Wohlstand der Adria-Tourismus, der entlang der Bundesstraße direkt an Venzone vorbei führte. Doch das alleine reichte noch nicht, um für Bekanntheit zu sorgen. Erst die verheerenden Erdbeben vor über 40 Jahren ließen das Dorf für viele zu einem Begriff werden.
Das großen Erdbeben 1976
2020 jährt sich bereits zum 44. Male dieses tragische Unglück in Friaul-Julisch Venetien. In dem Gebiet gab es zwar schon mehrfach in den vergangenen Jahrhunderten Beben, aber dieses hat den Ort und einige benachbarte Dörfer massiv getroffen. Es gab fast 50 Todesopfer zu beklagen und viele Kunstgegenstände wurden unter Schutt begraben.
Was 1976 die Erdstöße im Mai nicht schafften, wurde im September des gleichen Jahres noch zerstörerischer beendet. Fast der gesamte historische Stadtkern sowie die Stadtmauer und der Dom wurden zerstört. Noch heute sieht man Teile, die nicht wiederaufgebaut wurden, obwohl seit über 40 Jahren daran gearbeitet wird, Venzone wieder in seinem ursprünglichen Glanz erstrahlen zu lassen.
Es wäre einfacher gewesen, irgendwelche Gebäude schnell zu bauen, doch zum Glück haben die Bewohner darauf bestanden, dass nicht irgendetwas, sondern die Häuser wie ursprünglich gebaut, wiederhergestellt wurden.
Dadurch können wir heute durch ein Venzone spazieren, das neben zartem Lavendel-Duft ein mittelalterliches Flair verbreitet und zu einer Pause auf dem Weg an die obere Adria verführt. Ich kann euch versichern, dass ein Besuch zu jeder Jahreszeit empfehlenswert ist, egal ob in der ersten Frühlingssonne oder kurz vor Silvester.
Ein Dorf, das Lavendel für sich entdeckt hat
Den “Palazzo della Lavanda” mitten im Zentrum kann man nicht übersehen. Genaugenommen, man riecht es schon von der Weite! Lila Dekorationen und der typische Geruch lassen erahnen, welcher Wirtschaftszweig hier Fuß fassen konnte. Typische und ungewöhnliche Produkte aus Lavendel werden im Laden angeboten und bei Interesse freundlich erklärt.
Freunde von mir kauften schon Pasta, die wirklich eine ganz besondere Note hat und kein aufwendiges Sugo mehr benötigt. Ich selbst liebe Seifen mit diesem Geruch! Aus einer Idee, die nicht von allen ernst genommen wurde, ist ein florierender Geschäftszweig geworden, der vielen Bewohnern ein sicheres Einkommen ermöglicht.
Ein Dorf mit Auszeichnungen
Obwohl Venzone bereits vor dem großen Erdbeben, nämlich 1965, zum Nationalmonument erklärt wurde, gab es für die Mühe des Wiederaufbaus eine weitere Auszeichnung: 2017 wurde Venzone in die Liste der „Borghi più belli d’Italia“ (Schönste Dörfer Italiens) aufgenommen.
In der offenen Loggia des gotischen Rathauses (ca. 14./15. Jahrhundert) sieht man noch heute Bilder der Katastrophe und wenn man davor steht, kann man sich kaum vorstellen, was die Bewohner in all den Jahren geleistet haben.
Wenn ihr die Bilder in der Loggia betrachtet, schaut unbedingt auf die Details an den Deckenbalken. Leider sind nur einige wenige Reste von Fresken noch erhalten, denn vieles ist den beiden Beben zum Opfer gefallen. Aber es lohnt sich auch hier ein genauer Blick!
Mir hat im Advent besonders gut gefallen wie dieser offene Raum für die in Italien übliche große Krippe genutzt wurde. Das Obergeschoss des Palazzo Comunale erreicht man über eine Außentreppe, die oft als Beiwerk für Fotos genutzt wird.
Zu beachten ist eine Skulptur mit dem Löwen von San Marco, dem Wahrzeichen Venedigs – ein Relikt aus der Zeit, in der Venzone zur Serenissima gehörte. Doch nicht nur das Rathaus und die dominante Stadtmauer sind hier sehenswert.
Sakrale Bauten
Duomo Sant’Andrea Apostolo
Man sieht noch heute am Dom zum Heiligen Apostel Andreas, dass viele Teile leider nicht rekonstruiert werden konnten. Dennoch ist das Gebäude, dessen Anfänge auf 1300 zurückgehen, unbedingt einen Besuch wert.
Achtet außen auf die Details beim Hauptportal und innen auf die Fresken aus dem 14. Jahrhundert. Unter anderem sind 2 sehr bekannte Heilige der katholischen Kirche abgebildet, nämlich der Heilige Martin mit dem Bettler sowie der Heilige Georg, der die Prinzessin vor dem Drachen beschützt. Erst vor 25 Jahren wurde die Renovierung beendet; sie gilt als Symbol der Wiedergeburt Friauls.
Die Mumien von Friaul
Eine etwas gruselige Besonderheit ist in der kleinen Kapelle San Michele in unmittelbarer Nähe zum Dom zu bestaunen. Dort untergebracht ist ein kleines Museum mit 5 (von ca. 40) Mumien. Die Toten sind sehr wahrscheinlich durch einen Pilz und dem hohen Gehalt an Calciumsulfat im Boden mehr oder weniger ohne Absicht mumifiziert worden.
Die erste der Mumien wurde bereits Mitte des 17. Jahrhunderts bei Restaurierungsarbeiten entdeckt. Bilder habe ich aus Respekt nicht gemacht, denn immerhin handelt es sich um ganz “normale”, verstorbene Menschen und nicht um Reliquien im katholischen Sinn.
Chiesa di San Giovanni Battista
Vor dem Erdbeben gab es nahe des Stadttores Porta S. Giovanni noch eine weitere Kirche (zum Heiligen Johannes dem Täufer), von der jedoch nur mehr Reste der Fassade zu sehen sind.
Vorbei an diesen mahnenden Überbleibseln kommt man zum zweiten Stadttor (Porta S. Genesio), das all die Jahre und die Erdbeben überraschenderweise unversehrt überstanden hat. Natürlich gibt es noch einige kirchliche Bauten mehr und falls ihr gut zu Fuß seid, so besichtigt doch die ein oder andere Kapelle in der Nähe im Grünen 🙂
Festa della Zucca
Das Kürbisfest in der Altstadt lockt jedes Jahr Ende Oktober unzählige Besucher aus nah und fern nach Venzone. Es werden nicht nur die unterschiedlichsten Speisen rund um den Kürbis angeboten, sondern auch Kunsthandwerkliches. Ein Highlight sind aber die mittelalterlichen Darbietungen, die Groß und Klein staunen lassen.
Interessierte können mit dem Hashtag #20FdZ20 an der Foto-Challenge teilnehmen.
Ich selbst habe es tatsächlich noch nie zum Kürbisfest geschafft, aber lest doch bei Anita von “Gailtal on Tour” nach, was genau ihr dort erwarten dürft. Tolle Fotos sind euch garantiert!
Geht unbedingt auch Essen, etwas Trinken oder auf ein Eis 🙂
Obwohl Venzone nur etwas über 2000 Einwohner hat, gibt es mehrere, zumeist regional typische Cafés, Osterien und Trattorien, sowie Übernachtungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Preislagen.
Für ein Eis wähle ich meist die Pasticceria & Gelateria altri Tempi auf der Piazza Municipio 14.
Wie bereits eingangs erwähnt, lässt man sein Auto am besten außerhalb stehen und spaziert einmal längs und einmal quer durch das kleine Dorf. Viele der Häuser haben wunderschöne Details – es lohnt sich absolut, die Augen den Fassaden entlang nach oben zu richten!
Die Gemeinde Venzone ist 35 km von Udine und ca. 100 km von den Badeorten Grado und Lignano-Sabbiadoro entfernt.
Tanti Saluti
Elena
Offenlegung:
Dieser Artikel entstand nach unzähligen selbst bezahlten Besuchen in Venzone.